Meine Bedeckung- ein Teil meiner Souveränität I

Nach dem ich also meinen Weg zum Islam gefunden hatte kam die Zeit des Lernens.

 

Ich wollte alles über meine Religion lernen, was es auch sei. Jedes Mal, wenn ich in die Situation kam, dass Menschen mich mit Vorwürfen und Kritik am Islam bombardierten und meinten mich nun endlich überzeugen zu können, wieder zur Vernunft kommen zu sollen, konnte ich es kaum ertragen unwissend und stumm dazustehen.

 

 

Der Freundeskreis meiner Familie war klein und bescheiden. Mit arabischen Familien hatten wir nicht viel zu tun im Alltag, da es in unserer Stadt ohnehin nur sehr wenig Ausländer gab. Die Freunde meiner Mutter waren wenige und eher vom schrägen Schlag. Obwohl sie sich gut mit meinem nordafrikanischen Stiefvater verstanden, merkte man, dass sie es nicht wirklich mit der Offenheit und Toleranz hatten. Ein befreundeter Anwalt beispielsweise, war der Überzeugung, dass mein Hijab eine pubertäre Rebellion sei und ich ihn schon eines Tages aus Vernunftsgründen ausziehen würde.

 

 

In meiner Schule gab es wenig Muslime. Eine Handvoll, wenn es hochkommt. Der Großteil waren Deutsche, Polen, Spätaussiedler und Vietnamesen. Die wenigen Muslime, die ich kannte waren gar nicht praktizierend. Und das ist die schwerste Prüfung für mich gewesen. Zu sehen, wie Glaubensgeschwister so gar nicht nach dem Islam leben, sich aber Muslime nennen. Ob heimliche Liebschaften mit Jungs oder regelmäßige Diskogänge, Drogen- und Alkoholkonsum  und das Prahlen damit- sie fanden es ok, so lange es ihre Eltern nicht mitbekamen.

 

Wenn du nur diese Auswahl an Muslimen um dich herum hast, oder eben die nichtmuslimischen Mitschüler, die dich überwiegend mobben und ausgrenzen, weil du anders bist, dann kannst du auf Dauer nur schwach werden und ins Wanken geraten.

 

 

Und so habe ich versucht mich mit den wenigen Muslimen anzufreunden, um nicht allzu isoliert zu sein, und gleichzeitig grämte mich mein schlechtes Gewissen, ob der schlechten Einflüsse und der damit einhergehenden Einflüsterungen des Shaytan (Satans).

Ich versuchte weiterhin meine Religion so gut es ging zu verstehen und zu lernen, auch wenn ich nicht immer umsetzen konnte, was ich eigentlich wollte und kein lupenreines islamisches Leben führen konnte. 

 

 

Ein weiteres großes Problem stellte für mich die fehlende Wissensquelle dar, denn das Internet war damals noch nicht so ausgebaut, wie heute. (Und selbst heute ist es eine riesen Fitna (Versuchung) sich im Netz zurecht zu finden und nicht in schädliche Gruppen abzurutschen!) Mein Stiefvater hatte leider auch nicht ausreichend Wissen in der Religion, sondern sagte schlicht was verboten und was erlaubt sei. Warum, wieso, weshalb, das blieb ungeklärt.

Und so versuchte ich mich durch den Dschungel der Pubertät, des Unwissens und der diesseitigen Ablenkung durchzuschlagen.

 

 

Ein „Meilenstein“ meiner religiösen Entwicklung war schließlich folgendes Erlebnis:

 

Als ich meinen Mittagschlaf machte, ich war fünfzehn, hatte ich einen unglaublich schönen Traum.

 

Ich träumte, wie ich die Straße entlanglief. Doch etwas war anders als sonst. Ich trug einen Hijab.

 

Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Herzen aus. Als würde es sanft mit einer warmen Hand umfasst werden. Ich lief die Straße entlang und überall waren Menschen, die mich anschauten und zueinander sagten: „Sieh nur, das ist eine Muslima!“. Voller Stolz richtete ich mich auf und lächelte.

 

 

Ich wachte auf. Mein Herz pochte und die wohlige Wärme aus dem Traum hielt es noch immer umschlossen.

 

Ich will endlich als Muslima erkennbar sein, denn ich bin eine Muslima“, überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf.

 

Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und zog mich an. Zu meinem Termin wollte ich nun als Muslima gehen, als Muslima, die keine Angst mehr hat zu zeigen wer sie wirklich ist.

 

 

Also suchte ich mir ein großes Halstuch. Ich weiß noch heute wie es aussah. Rot, braun gemustert mit silbernen Fäden. Befestigt habe ich es damals die erste Zeit noch mit Ohrringen. Ja, wirklich. Ich hatte ja keine Ahnung, wie man das macht. Anschließend zog ich die schlapperigsten Klamotten aus dem Schrank an, die ich finden konnte.

 

Bevor ich das Haus verließ verabschiedete ich mich bei meinem Stiefvater. Als er sah, wie ich das Haus verlassen wollte fragte er völlig verwundert: „Willst du so rausgehen?“. „Ja, ab heute für immer, inshaAllah“, antwortete ich ganz selbstverständlich. „Aber wir leben in einer Stadt voller Nazis. Hier ist es gefährlich, Namika. Das ist kein Spiel. Du kannst es nicht heute anziehen und morgen wieder ausziehen“, hakte er nach, ob ich es denn wirklich ernst meinte und mir der Gefahr bewusst sei. „Ja, ich weiß doch. Aber ich will nun einmal. Für mich ist das kein Spiel!“, versicherte ich und bemerkte, dass mein Stiefvater plötzlich weinen musste. Die Tränen flossen einfach über seine Wangen. Er war so glücklich und überrascht. „Komm mal her!“, sagte er und umarmte mich fest. Noch als ich ging hatte er Tränen in den Augen und rief anschließend voller Stolz unsere nordafrikanische Verwandtschaft an.

 

 

Als ich den ersten Fuß vor die Haustür setzte überkam mich ein überwältigendes Gefühl des Glücks.

 

Ich bin endlich ich!

 

 

Doch die Wolken der Erschwernis zogen auf, und die schweren Zeiten ließen nicht lange auf sich warten, aber…

 

Der Herrliche sagt: „Also gewiss, mit der Erschwernis ist Erleichterung, gewiss, mit der Erschwernis ist Erleichterung.“ [94:5-6]

 

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