Terroristenschlampe

Es ist Vormittag. Ein Wochenende. Und ich warte an einer Haltestellen in der Innenstadt. An der Haltestelle warten viele Menschen mit mir. Wie immer werde ich von einigen misstrauisch beäugt und es wird über mich getuschelt, aber was soll es, so ist es halt immer.

 

Ich wippe auf meinen Zehenspitzen und Fersen vor und zurück und denke daran, wie ich die dämliche Mathearbeit schaffen soll. Stochastik ist definitiv nicht mein Lieblingsthema.

 

Plötzlich vernehme ich ein aggressives Schreien nicht unweit von mir. „Oh nein, hoffentlich nicht wieder jemand, der mir seine Meinung sagen will“, denke ich schon ängstlich und versuche in der Menschenmenge den Schreihals und somit die potenzielle Gefahr ausfindig zu machen.

 

„Scheiß Moslem! Verpiss in dich in dein Land!“, brüllt es nun deutlich näher in meine Richtung. Die umstehenden Leute machen den Unruhestifter aus und schauen ihn aufmerksam an. Jetzt sehe auch ich, wo er steht. Besser gesagt, wo er langschleicht. Er umrundet die Anzeigetafel und schaut mich hasserfüllt an. Da ruft er auch schon wieder aus ganzer Leibeskraft: „Du Terroristenschlampe, so was wie dich darf es nicht geben!“ „Okay?! Der Typ kommt immer näher. Irgendjemand hier, der einschreitet oder sich neben mich stellt, um ein Zeichen zu setzen!“, frage ich mich hektisch und schaue fragend allen Umstehenden in die Augen. Jungen Männern, die in einer Gruppe zusammenstehen. Älteren Leuten, die aus der Vergangenheit gelernt haben müssten. Eltern mit Kindern. Frauen, die mit Freundinnen gackern und die Szene feiern.

 

Niemand. Niemand sagt etwas. Keiner stellt sich auch nur neben mich, um dem Typen zu zeigen, dass ich nicht allein bin, sondern Unterstützung bekomme. Niemand, der sich mit einem Mädchen solidarisiert . Ich schnaufe wütend, als ich sehe, wie viele der Leute zustimmend nicken, als der Angreifer wieder eine seiner Parolen über den Platz grölt. Ich gehe einige Schritte weiter weg, um etwas mehr Abstand zu dem näherkommenden Mann zu schaffen. Da sehe ich endlich, die Straßenbahn anrollen. Erleichtert steige ich ein und hoffe inständig, dass der etwa vierzig- bis fünfzigjährige Typ nicht mit einsteigt.

 

Doch als sich die Türen der vollbesetzten Bahn schließen, schreit es wieder: „Du scheiß Terroristenschlampe, mach dich hier weg! Das ist mein Land!“ Und nun läuft er schneller auf mich zu, drängt sich an den Leuten vorbei. Wieder gucken nur alle sensationsgeil, wie weit der Mann wohl tatsächlich geht. Panisch drücke ich auf den Türknopf und stürze aus der Bahn. Als ich mich umdrehe, bemerke ich, dass der Angreifer auch ausgestiegen ist. Er rennt nun und versucht eine Glasflasche auf meinem Kopf zu zerschlagen. Im letzten Moment gelingt es mir loszurennen. Ich renne so schnell mich meine Beine tragen und kann ihn schließlich zwischen den Häusern abhängen. Ich verstecke mich in einem Hauseingang einer Freundin.

 

„Warum hilft mir denn keiner?“, frage ich mich.

 

Abends sehe ich im Fernsehen wieder eine dieser sich endlos wiederholenden Talkshows, in denen über die Frage debattiert wird: „Wie gefährlich ist der Islam?“

 

Erschöpft schalte ich aus. Für heute reicht es.

 

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