Schreibaby- ein Tabuthema

 

Nach einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft und einer drohenden Frühgeburt wurde mein Sohn schließlich zum Entbindungstermin gesund und rosig geboren. Al- hamduliLLAH. Die große Schwester liebkoste ihren winzigen Bruder, mein Mann und ich strahlten uns glückselig an- kurzum alles war so, wie man sich einen Familienzuwachs wünscht.

 

 

 

Die Wochen vergingen rasant schnell und wir alle hatten uns mittlerweile in die Situation mit Neugeborenem eingewöhnt. Mein Baby schlief zwar nur, wenn es getragen wurde oder auf meinem Bauch lag, aber das war nun einmal so. Die Schwangerschaft über musste es genug Stress aushalten, wie schön, dass wir also kuscheln konnten.

 

 

 

Doch mein Sohn wurde von Tag zu Tag unruhiger. Er ließ sich bald kaum noch weglegen ohne zu schreien. Mit sechs Wochen begann er viel zu weinen und zu schreien. Ich schob es auf den Schub, den die Kinder in diesen Lebenswochen durchmachen. Es wurde schlimmer. Nun schrieh er beinahe täglich immer zur selben Zeit bis zu drei manchmal vier Stunden am Stück. „Das kriege ich hin. Da müssen wir durch“, sprach ich mir gut zu. Mein Mann war durch seine Uni sehr beschäftigt und stark belastet, versuchte aber zu helfen, so gut er konnte.

 

 

 

Dann kam die erste Horrornacht: gegen 0.00 Uhr wachte mein sieben Wochen alter Sohn kreischend auf. Es klang fürchterlich schrill. Ich stillte, wickelte und schaukelte ihn im Wechsel. Er ließ sich nicht beruhigen. Zwei Stunden später übernahm mein Mann. Nichts passierte, das Baby kreischte weiter. Um 04.00 Uhr schlief er endlich vor lauter Erschöpfung ein, Gott sei Dank. Völlig übermüdet und besorgt lege ich mich mit ihm im Arm ins Bett. Fünf Minuten später wachte er wieder kreischend auf. Bis 08.00 Uhr morgens sollte er noch schreien.

 

 

 

Trotz durchwachter Nacht rief ich sofort beim Kinderarzt an, schilderte die Situation und bat um einen Termin. Die Antwort der Sprechstundenhilfe war wie ein Schlag ins Gesicht: „Ja, Babys schreien nun einmal. Da muss man dann halt durch!“

 

Fassungslos versuchte ich der Dame folgendes klar zu machen: “Das ist nicht mein erstes Kind. Und acht Stunden am Stück zu schreien ist bestimmt nicht normal.“

 

Bei dem Termin meinte der Kinderarzt schließlich, dass das eben ein Schub sei, das Baby osteopathisch unauffällig und verabschiedete sich nach einer kurzen Untersuchung meines Sohnes. Keine Frage, wie es mir oder meinem Mann denn ginge, ob wir diese stundenlange Schreierei gut aushalten könnten oder Unterstützung bräuchten.

 

 

 

Mit einem mulmigen Gefühl ging ich wieder nachhause. Die nächsten Monate sollten sich als krasse Geduldsprüfung herausstellen, denn mein Baby schrieh und schrieh und schrieh. Er war allgemein eher unruhiger Natur doch diese ständig wiederkehrenden mehrstündigen Schreiattacken führten auf Dauer dazu, dass die Atmosphäre Zuhause zunehmend angespannter wurde.

 

 

 

Jede Nacht betete ich, dass das Baby bitte bloß nicht wieder kreischend aufwachen solle. Manchmal schlief er hervorragend und wachte brav nur zum Stillen auf, mind. viermal die Nacht, aber er schrieh nicht. Doch dann gab es auch oft Nächte in denen er aus dem Nichts aufwachte und stundenlang schrieh. Sobald er nur anfing zu quaken stellten sich meine Nackenhaare auf und ich bekam schlimmes Herzrasen. Die ersten zwei Stunden blieb ich ruhig, streichelte und trug ihn. Mal im Wechsel mit meinem Mann, mal alleine. Irgendwann wurden die Nachbarn über uns wach. Mein Adrenalin stieg ins Unermessliche. Nach zwei Stunden Dauerschreien konnte ich nicht mehr. Ich bekam schlimme Aggressionen. „Was hast du denn?“, „Hör doch auf zu schreien!“, „Bitte, bitte schlaf doch endlich!“, „Ich kann nicht mehr. Ich muss hier weg!“ „Ya Allah, bitte hilf mir! Ich drehe gleich durch.“ Waren Blitzgedanken, die einfach da waren.

 

 

 

Es war dunkel, alles schlief. Nur dieses Baby, das schon tagsüber so extrem fordernd war, wollte keine Ruhe geben und weder die Ärzte noch ich wussten warum. „Ich bin eine schlechte Mutter, kriege ja nicht einmal mein Kind beruhigt“, fuhr es mir immer wieder durch den Kopf. Wenn ich ihn versuchte zu beruhigen stemmte er sich gegen mich. Irgendwann machte es PUFF in meinem Kopf und ich bekam fürchterliche Angst meinem Baby jeden Moment etwas anzutun. Ich legte ihn dann immer sicher aufs Bett und setzte mich neben ihn an die Bettkante. Dort schaukelte ich vor- und rückwärts, weinte bitterlich und schlug mir die Fäuste gegen die Stirn. „Hör doch auf zu schreien! Ich bin so müde. Ich kann nicht mehr! Was hast du nur?“

 

 

 

Tagsüber war ich bald so angespannt, dass ich oft meckerte und mich mit meinem Mann stritt. Rückblickend muss ich sagen, dass wir beide schlicht überfordert waren und uns niemand ernst nahm oder unterstützte, wenn wir davon erzählten. Das war hochgradig gefährlich!

 

 

 

Von da an verstand ich all diese Eltern, die ich damals noch verurteilte: Eltern, die nach dem sie ihre Babys behindert oder zu Tode geschüttelt hatten, bitterlich weinten und sagten, dass es eine Kurzschlussreaktion gewesen sei. Ja, nun verstand ich, was einen liebenden Elternteil zu solch einer gefährlichen Affekthandlung treiben konnte.

 

 

 

Weder duschen, noch der normale Toilettengang waren möglich, wenn mein Mann nicht da war. Und selbst dann musste ich diskutieren und streiten, damit mein Mann das schreiende Kind umsorgt, während ich mich mal um mich sorgen wollte und musste. Die Geduld geht einfach irgendwann zur Neige. Meine arme Tochter vermisste ihre ausgeglichene liebevolle Mama, die nun zu einem übermüdeten dauergenervten Zombie geworden war. Diese Erkenntnis bereitete mir ein unsägliches Gefühl des Versagens und des Selbsthasses.

 

 

 

Heute weiß ich, dass ständig hohe Lautstärke und Schlafentzug folterähnliche Auswirkungen auf den Organismus haben. Schließlich werden Gefangene genau auf diese Art in Gefängnissen gefoltert. Und wenn man niemanden hat, von dem man ernst genommen wird, redet man sich selbst ein, dass alles normal ist, und das Problem bei einem selbst liege. In so einem unausgeglichenem Zustand dreht sich der Schreikreis weiter und weiter, denn ein Baby reagiert dann noch extra auf die schlechte Atmosphäre.

 

 

 

Ein Jahr (!) später- mein Sohn zeigte bei seinen nächtlichen Schreiattacken nun auf seine Beinchen- empfohl mir jemand einen anderen Kinderarzt. Er untersuchte meinen Sohn, renkte ihm die Hüfte wieder ein und sagte: „Ihr Sohn hatte einen eingeklemmten Nerv, den ich nun hoffentlich aus der Blockade lösen konnte. So etwas ist sehr schmerzhaft. Geben Sie ihm noch für drei Tage Schmerzmittel, da der Nerv gereizt ist und die Schmerzen in die Beine ausstrahlen. Danach müsste es besser werden.“

 

UND DAS TAT ES! ENDLICH! Nach einem Jahr Folter für mein armes Kind und uns als Familie war es endlich vorbei! Al hamduliaLLAH.

 

 

 

Liebe Eltern, die ihr dasselbe durchlebt,

 

 

 

bitte bitte achtet auf euch! Holt euch Unterstützung anstatt euch für eure völlig normalen Gefühle zu schämen! Damit rettet ihr euer und das Leben eures Kindes.

 

Sucht euch eine Schreiambulanz, Freunde, Familie, wen auch immer! Lasst jemanden das Babylein mal für eine Stunde im Kinderwagen spazieren fahren während ihr IN RUHE duscht und esst oder einfach nur schlaft.

 

Tut es aus Liebe zu euch und eurer Familie. Sucht euch einen anderen Arzt, wenn ihr von eurem nicht ernst genommen werdet.

 

 

 

Ich habe sehr viel aus dieser Zeit gelernt und würde einiges anders machen.

 

Das Wichtigste, das ich lernte: Man ist kein/e schlechte Mutter/Vater, wenn man sich Hilfe holt und eingesteht, dass man nicht mehr kann. Man hat versagt, wenn man seinem Kind etwas antut oder beginnt es für Stunden alleine in einem Zimmer schreiend einzusperren!

 

 

 

Eure Namika die Schreiberin

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0