Spiegelbild

Spiegelbild

Im Spiegelbild schaut mich mein Selbst an. Glücklich, von innen heraus strahlend. Warm und mit entspannten Gesichtszügen. Ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Das schwarze Untertuch bedeckt bereits mein Haar während ich ein langes weißes Tuch zu einem Dreieck falte und es mir sanft auf mein Haupt lege. In völliger Ruhe und Liebe binde ich es mir zurecht und stecke das kürzere Ende des Tuches an dem Stoff meiner schwarzen Abaya fest. Ein lauer Wind weht durch die luftigen beigfarbenen Gardinen meiner Einzimmerwohnung und streift dabei sanft meine Wange.
Er trägt den Duft von Sommer und seinen zahlreichen bunten Blüten und saftig grünen Gräsern.
Ich atme tief ein, um den Sommer festzuhalten, diesen wunderschönen Moment des Friedens.
Mein Lächeln wird, wie von selbst, breiter und ich fühle eine Träne an meinem Kinn, die auf meine Abaya tropft.

Ich bin glücklich! Ja, ich bin zutiefst glücklich. Denn ich fühle mich meinem Schöpfer so nahe, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Meine islamische Bedeckung drückt meinen inneren Prozess aus, der mich meine Religion zu verstehen lehrte und mich zu dem werden ließ, wonach sich mein Herz so sehr sehnte: zu einer praktizierenden Muslimah zu werden. Eine Muslimah, die versucht ihr Bestes zu geben und sich doch bewusst ist nie vollkommen sein zu können.

Nun verstehe ich, warum mir plötzlich die Freudentränen in die Augen schossen, als ich mich so gekleidet im Spiegel betrachtete. Es ist die Freude über das Sichtbare von dem, was in mir lebt. Der Glaube, die Liebe zu meiner vollkommenen Religion, die Gottergebenheit und mein wahres Ich, das sich nicht nach den Menschen richten möchte, sondern nach dem, was meinem Schöpfer wohlgefällt.

Ein letztes Mal zupfe ich an meinem langen Tuch und atme noch einmal tief ein, so dass sich meine Lungen weiten können. Während ich langsam wieder ausatme tanzen im hereinfallenden Sonnenlicht kleine Staubkörnchen. Ich wende mich ab von meinem Spiegelbild, stecke meine Unterlagen für den Frauenunterricht in die schwarze Handtasche und schlüpfe in meine Sommerschuhe.

Treppe um Treppe steige ich im kühlen Hausflur hinab, öffne die weiße Tür und genieße die heiße Sommerluft, die mir entgegenschlägt. Ich liebe es ohne dicken Mantel das Haus verlassen zu können.
Für einen kurzen Moment halte ich inne, schließe die Augen und spüre dem so perfekten Moment nach. Das Rauschen des Windes in den Baumkronen, das verspielte Zwitschern der Spatzen und der Stoff meines Gewandes, der sich im Wind wiegt umschmeicheln meine aufmerksamen Ohren.

Das Leben kann so schön sein. Und das faszinierende daran für mich ist, dass ich nichts brauche außer die Nähe zu meinem geliebten Schöpfer Allah – dem Gepriesenen - .

Ich öffne die Augen laufe los und erreiche die Haltestelle. Als ich in die Bahn steige starren mich die meisten Menschen an. Eine Gruppe von jungen Frauen pöbelt in meine Richtung: „Das ist doch eine Deutsche. Bäh, furchtbar!“
Doch es betrübt mich nicht, denn ich bin bei mir selbst und niemand kann mir heute mein Glück nehmen.

Danke oh Allah für diese glückseligen Momente und die Stärke, die DU mir gibst! Alles Gute kommt von dir!

🖋️ Namika die Schreiberin

 

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